SSK-CSE

Schweizerischer Schleusenschiffer Klub – Club Suisse des Ecluseurs

Fahren wie auf einem Fluss – aber zur See

Diesen September sind wir von Harlingen über die Waddensee nach Terschelling gefahren. Plangemäss haben wir 90 Minuten nach Hochwasser Harlingen den Hafen verlassen, das “Touristenfahrwasser” gesucht, den vorher notierten Kurs gefunden und den Autopiloten eingeschaltet. Augenblicklich lief alles nicht mehr wie geplant. Das Boot fuhr in Kurven, verschob sich seitlich und näherte sich gefährlich einer Tonne, die hätte an Steuerbord bleiben sollen. Also: Autopilot raus, Steuer ergreifen, nach Sicht auf dem Fahrwasser steuern. Und siehe da, es funktioniert. Als Schleusenschiffer sind wir gewohnt, im lebendigen Wasser eines Flusses zu fahren. Alles funktionierte wie gewohnt und keine Sekunde verlief ohne automatisierte Steuerbewegung des Schiffsführers.

In der Weite der Waddenzee markieren Tonnen die Fahrwege, die in grossen Bogen durch das manchmal nur wenige Zentimeter tiefe Gewässer führen. Die beträchtlichen Strömungen sind für den exakten Beobachter auf der Wasseroberfläche erkennbar. Der Autopilot, der sich nach dem Kompass unsers Bootes richtet, ist mit den schnell wechselnden Strömungen völlig überfordert, das heisst, er richtet das Boot in die festgelegte Richtung, kann aber die beträchtlichen Abdriften nicht korrigieren. Wie auf einem Fluss.

Die Fahrt in der Waddensee braucht eine lange Vorbereitung. Die Seekarte ist zu studieren. Gezeiten, Wind und Wetter sind längere Zeit zu beobachten und der richtige “Slot” ist zu finden. Wir wollen von Harlingen nach Terschelling und haben festgestellt, die Fahrrinne ist so tief, dass sie auch bei Niedrigwasser befahrbar ist. Die Fahrrinnen verändern sich durch die gewaltigen Gezeitenströme ständig und die Tonnen müssen von den Behörden immer wieder versetzt werden. Deshalb ist eine aktuelle Seekarte nötig und die Navigatorin an Bord identifiziert jede Tonne während der Fahrt. Von Harlingen wollen wir mit dem ablaufenden Wasser ausfahren und so den Strom nützen. Später allerdings werden wir das ablaufende Wasser gegen uns haben, sodass wir bei Niedrigwasser auf der Insel ankommen wollen. Die etwa vierstündige Fahrt kann sich bei geschicktem Umgang mit der Strömung, wir haben bis zu 6km/h gemessen, auf drei Stunden verkürzen. Ohne Beachtung der Gezeitenströmung verlängert sich die Fahrt enorm. Wegen der vielen Untiefen ist es unerlässlich, sich genau in den Fahrrinnen zu bewegen. Soll dies nicht unangenehm werden, so sind wir auf schwache Winde angewiesen oder Winde die zuverlässig aus NW oder SO wehen, sodass wir den Wind meist von vorne oder von hinten haben. Schon bei unserer Ankunft im Heimathafen in Sneek wird klar: Vom 2. – 5. September stimmen alle Voraussetzungen für eine Reise über die Waddenzee: Schwache Winde, schönes Wetter, Hochwasser am Morgen, Prognose der Hafenbelegung.

Die grosse Strömung ist an der gelben Tonne des Nebenfahrwassers für Sportboote gut sichtbar. Der Segler ausserhalb des Fahrwassers kann uns nicht verlocken dieses zu verlassen.

In Harlingen liegen wir im Hafen der Wassersportvereinigung www.hwsv.frl , was uns erlaubt, über die grosse Schleuse bei jedem Wasserstand auszulaufen. Wir geniessen zwei Tage in Harlingen und machen dabei auch einen Spaziergang auf die Mole des Harlinger Hafens, dies natürlich zu genau der besten Ausfahrtzeit (2 Stunden nach Hochwasser Harlingen). Mittels Feldstecher erkundet die Navigatorin Elsbeth akribisch die Hafenausfahrt und die Wasserfläche vor uns. Wir stellen dabei fest, dass eine Unzahl von Booten den Hafen verlässt und starten darum am Folgetag etwas früher. Dies lohnt sich, die Verkehrsdichte ist viel geringer. Die frühere Abfahrt muss aber später im Westmeep mit wesentlich kleinerer Geschwindigkeit über Grund bezahlt werden (Gegenströmung 2,5 km/h).

Auf dem Fahrwasser ist strikt die Steuerbordseite anzuhalten. Wir wählen immer das mit gelben Tonnen markierte Nebenbenfahrwasser für Sportboote. Dieses liegt entweder links oder rechts vom Fahrwasser und ermöglicht an verschiedenen Stellen auch Abkürzungen. Es ist allerdings erforderlich, das Fahrwasser immer mal wieder zu kreuzen. Gleich nach der Ausfahrt Harlingen liegt der Pollendamm. Dies ist ein Damm, der die Gezeitenströme lenkt. Er ist gut sichtbar und ragt hoch aus dem Wasser. Bei der Rückkehr ist der Damm überschwemmt und verliert seine regulierende Wirkung. Es herrscht eine starkte Strömung auf den Damm zu. Da fahren wir im Nebenfahrwasser südlich der Fahrrinne sicher. Allerdings darf der Fahrwasserwechsel nach Steuerbord nicht verpasst werden.

Im Fahrwasser verkehren die grossen Schiffe mit viel Tiefgang und die Schnellfähren. Um von diesen schnellfahrenden Ungetümen nicht überrascht zu werden, haben wir die Abfahrtszeiten der Fähren sorgfältig notiert. Trotzdem erschrickt man nicht schlecht, wenn die Schnellfähre auftaucht und die geniessenden Schleusenschiffer mit einer schrillen Sirene aus der Betrachtung der Waddenzee aufschreckt.

Kurz vor Terschelling überholen uns gleichzeitig ein schnelles Motorboot und die Schnellfähre. Sie bescheren uns das mächtigste Rollen unseres Bootes auf der ganzen Reise. Wie gut, dass wir unsere Küche seetauglich gemacht haben.

Sobald wir vom Vliestrom nach Osten ins Westmeep abbiegen sind wir weitgehend allein. Die Tonnen liegen jetzt weit auseinander und der Kartenplotter hilft bei der Orientierung. Die Insel ist nun gut sichtbar und kommt langsam etwas näher oder rückt, weil wir wiederum einen Bogen fahren, etwas aus dem Blick. Endlich sind wir vor der Hafeneinfahrt und fahren dem Hafendamm entlang bis in den Yachthafen, wo uns ein Hafenmeister auf dem “Wassertöff” empfängt und uns energisch einen Platz zuweist. Einen Tag liegen wir allein, dann kommt das Wochenende und der Hafen wird mit Päckchen zu dritt gefüllt.

Hafeneinfahrt bei ablaufendem Wasser. Der Hafendamm ist gut sichtbar. Das Vorland ist noch mit Wasser bedeckt.

Im Hafen wird deutlich, wie sehr die Menschen auf Terschelling mit den Gezeiten leben. Zweimal am Tag geht es rund zweieinhalb Meter hoch und anschliessend wieder runter. Vom Oberdeck haben wir eine prächtige Aussicht über Hafen, Stadt und die Waddenzee. Diese Aussicht wechselt viertelstündlich, denn wo vorher Wasser war, stehen plötzlich die Möwen und wieder eine Viertelstunde später spazieren sie schon auf braunem Schlick.

Spaziergang am Hafen: Hinter dem sympathischen Transportmittel ist der Hafendamm und das Vorland sichtbar.
Sechs Stunden später: Der Hafendamm ist verschwunden und nur noch die Spieren zeigen an, wo er unter der Wasseroberfläche zu suchen ist.

Die Insel ist voller Menschen und im Städtchen West Terschelling sind die Strassenkaffees voll, die Leute drängen sich in den engen Gassen und auf den Strassen der rund 30km langen Insel folgen sich die Velofahrer in langen Kolonnen. Für uns aber entpuppt sich die Insel als einsames Wanderparadies. Wir wandern einige Tage durch Wälder und Dünen. Meist sind wir allein und treffen auf unseren Wegen kaum andere Wanderer an. Die Navigation in den Dünen scheint uns oft schwieriger als auf der Waddenzee und ohne GPS und Landkarten auf dem Mobiltelefon wäre es schwierig den guten Weg zu finden. Während unserer Wanderungen machen wir viele Entdeckungen und erleben eine für uns völlig fremde Landschaft. Das Wanderbüchlein, das wir im Tourismusbüro erstanden haben, führt uns in ganz neue Themen ein. Wie funktioniert das genau mit dem Süsswasservorrat im Grundwasser auf einer Sandinsel?

Heidelandschaft im Westen der Insel
Dünenlandschaft im Osten
Elsbeth sucht Kostbarkeiten am völlig menschenleeren Nordseestrand

Nach wunderbaren Tagen brechen wir am frühen Morgen auf und verlassen den Hafen in Richtung Harlingen. Das Zeitfenster für die Rückfahrt ist viel grösser als dasjenige der Hinfahrt. Dies ist sehr praktisch, man kommt leichter zurück als hin. Wir fahren gegen die Sonne und im Gegenlicht stellt sich eine völlig neue Fahrsituation ein. Die Tonnen sind sehr schlecht zu sehen und kaum zu identifizieren. Navigtorin Elsbeth hat viel zu tun. Mit dem auflaufenden Wasser sind wir viel schneller unterwegs als wir erwartet haben. Anders als auf der Hinfahrt begegnen wir kaum Schiffen. Wir geniessen die Weite der Waddenzee.

Wir verlassen den Hafen und grüssen den alten Leuchtturm mit dem klingenden Namen Brandaris. Auf dem Turm befindet sich eine hochmoderne Revierzentrale. Ihr Funkkanal 2 muss von allen Booten in der Waddensee abgehört werden. Sportboote müssen sich bei der Revierzentrale nicht anmelden. Sie ist die erste Adresse bei Problemen im nicht einfachen Fahrgebiet.
Harlingen am Horizont

Wichtige Hilfsmittel

Wir haben gute Erfahrungen mit folgender Seekarte gemacht. Sie enthält neben Übersichts- und vielen Detaikarten einen aktuellen Gezeitenkalender aller Inseln: NV Atlas Nederland, NL2, Waddensee. ISBN 978-3-932 414-46-6

Eine unverzichtbare Webseite: https://www.waddenhavens.nl/. Diese Seite dient zur intensiven Vorbereitung der Fahrt über die Waddenzee: Belegung der Häfen, Webcambilder der Häfen, Gezeiten, Wetter, Angabe der guten Fahrzeiten zwischen allen Inseln und der Küste, Praktische Links zu weiteren Seiten.

Für touristische Infos: https://www.vvvterschelling.de/. Diese Seite enthält auch eine Sammlung von Webcams, die uns zeitnah gut über die Touristenströme der Insel unterrichten. Die Webcam Schylge West zeigt exakt den Hafenabschnitt, in welchem Motorboote anzulegen haben und der auf der Seite Waddenhavens nicht zu sehen ist.

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